Entwicklungspolitische Bedeutung der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft

 

 

"Genetische Ressourcen sind schon deshalb der entwicklungspolitischen Diskussion leicht zugänglich, weil sie eine typische neokoloniale Interessenkonstellation repräsentieren. Hier der Süden, die äthiopische Kleinbäuerin mit ihren zwanzig Getreidesorten in subsistenznaher Produktion, dort der Norden, transnationale Konzerne, die die Ressourcen des Südens aneignen und möglichst exklusiv zu verwerten suchen.

Der Konflikt um genetische Ressourcen birgt jedoch weitere und komplexere Fragen, die den schlichten Nord-Süd-Gegensatz überschreiten."

(M. Flitner)

 

Die Bedrohung der genetischen Vielfalt als Teil der biologischen Vielfalt (neben Artenvielfalt und Ökosystemvielfalt) ist spätestens seit dem Umweltgipfel in Rio 1992 und der Schaffung der Konvention über biologische Vielfalt als Problem erkannt.

Die erfolgreiche Erhaltung und nachhaltige Nutzung der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft ist vor dem Hintergrund der Ernährungskrise und des stärker werdenden Interesses des privaten Sektors an diesen Ressourcen mitentscheidend für die zukünftige Ernährungssicherheit der Menschen:

Fast alle unsere Nahrungspflanzen stammen ursprünglich aus Gebieten, die heute in den sogenannten Entwicklungsländern liegen. Dort sind ihre Eigenschaften z.B. in Bezug auf Krankheits- und Schädlingsresistenz am weitesten entwickelt, weil die Entwicklung zwischen Pflanze und Umwelt in den Ursprungsregionen am längsten dauerte. Die Bauern und Bäuerinnen der Entwicklungsländer (und lange auch bei uns) haben diese Vielfalt über Jahrhunderte bewahrt und zu Tausenden von Sorten weiterentwickelt, die sehr spezifische und unterscheidbare Eigenschaften aufweisen, die für die speziellen Anbaubedingungen ihrer Felder passend waren.

Die moderne Landwirtschaft, die im Rahmen der Grünen Revolution den Bauern Hochertragssorten mit dem für ihren Anbau nötigen Pflanzenschutz- und Düngemittel brachte, führte dazu, daß viele Bauern ihre alten Sorten nicht mehr anpflanzen und diese damit ausstarben. Unser Modell einer intensiven industrialisierten Landwirtschaft wurde und wird in den Süden exportiert und zerstört dort ihre eigenen Grundlagen.

 

Das Thema Vielfalt in der Landwirtschaft ist vielschichtig. Es folgt daher ein Überblick über die entwicklungspolitischen Ebenen und Teilaspekte des Themas:

 

Generosion

Der Prozeß der Generosion hat in den letzten 20 Jahren rapide zugenommen. Eine einmal verlorene Sorte ist für alle Zeiten verloren gegangen. Diese Tatsache ist schon gravierend genug, aber vielleicht wäre gerade ihre Eigenschaft die Antwort auf ein Problem der Pflanzenzüchtung in Bezug auf Krankheitsresistenz oder sich ändernde Umweltbedingungen. Der Verlust genetischer Vielfalt beraubt uns also der Alternativen, die für die zukünftige Ernährung der Weltbevölkerung wichtig werden könnten und schon sind.

 

 

 

 

 

Die Generosion betrifft nicht nur den pflanzlichen Bereich, sondern auch die Haus- und Nutztiertierrassen in aller Welt, sowie den Obstbau als auch die Forstwirtschaft. In allen Gebieten wird die Bandbreite der Alternativen eingeschränkt und damit die Abhängigkeit der Ernährung aller Menschen von immer weniger Arten und immer weniger Sorten größer.

 

Konzentration der Macht im Norden

Die Rolle einiger weniger transnationaler Konzerne auf dem weltweiten Saatgutmarkt ist gekoppelt mit ihrer Macht auf dem verarbeitenden Sektor und der Vermarktung und des Handels mit Agrarprodukten weltweit. Der Kreis schließt sich vom Saatkorn über das Mehl zum Brot.

In den Entwicklungsländern bietet der Handel mit Saatgut große Chancen, große Marktanteile zu beherrschen und neu zu erobern. Bauern, die immer ihr Saatgut selbst produziert haben, geraten in die Abhängigkeit von Firmen, müssen mehr Geld für inputs ausgeben und geraten in die Schuldenfalle.

 

Durchsetzung von souveränen Rechten der Staaten des Südens und Technologietransfer aus dem Norden

Die Bedeutung der 1992 in Rio beschlossenen Konvention über biologische Vielfalt (KBV) liegt u.a. darin, daß sie den Ursprungsländern der genetischen Ressourcen, also vor allem den Entwicklungsländern Souveränitätsrecht über ihre genetischen Ressourcen einräumt und die Industriestaaten verpflichtet, die Entwicklungsländern u.a.durch Technologietransfer für die Nutzung ihrer Ressourcen zu entschädigen. Wie dies praktisch geschehen kann, ist nicht geklärt. Der Konflikt zwischen dem technologiereichen Norden und dem genreichen Süden wird auch darin deutlich, daß die Konvention vorsieht, daß der materielle Nutzen, der aus der Nutzung genetischen Reichtums erwächst, gerecht zwischen Bereitstellern und Nutzern zu teilen ist. Viele Entwicklungsländer mit großer genetischer Vielfalt versprechen sich aus dieser Verpflichtung einen nicht unerheblichen Gewinn. Die Länder des Nordens leugnen entweder, daß Gene einen materiellen Wert haben, oder sie versuchen, die Konvention zu umgehen, indem Pharma- und Agrarindustrie z.B. die Gene aus Sammlungen, die außerhalb der Entwicklungsländer liegen z.B. in botanischen Gärten oder in Genbanken beschaffen. Dieser Genraub unterläuft nicht nur das Recht der Staaten, sondern auch die Rechte der Bauern und Bäuerinnen, die sich aus ihrer züchterischen Arbeit ergeben und die die FAO durch den Begriff der Farmers´ Rights den Rechten der Züchter gegenübergestellt hat.

 

Stärkung der Selbstbestimmungsrechte der Bauern - Farmers´Rights

In Anerkennung der Leistungen, die Bauern und Bäuerinnen durch die Erhaltung, Verbesserung und Bereitstellung genetischer Ressourcen in der Vergangenheit vollbracht haben, stellte die FAO die sogen. Farmers´ Rights den Rechten der Züchter gegenüber. Die Stärkung der Rechte der Bauern an ihren Technologien und in ihrer freien Entscheidung, welche Sorten sie pflanzen wollen, in welchem Anbausystem und daß sie das Recht behalten, einen Teil ihrer Ernte im nächsten Jahr als Saatgut zu verwenden, ist wichtig für ihre Unabhängigkeit in Nord und Süd. Diese Rechte geraten durch die Beschlüsse des GATT zu geistigen Eigentumsrechten und den Anforderungen an die Länder, Patentierungssysteme einzuführen immer stärker unter Druck.

 

 

 

 

Patente auf Leben

Die Diskussion und der Konflikt um die Ausgestaltung der Farmers´ Rights wird deutlich durch die Debatte um die Patentierung von Lebewesen, ihren Teilen oder von Pflanzensorten.

Die Vorstellung, daß das bei uns geltende Patentrecht für technische Erfindungen übertragbar wäre auf lebende Organismen und auf traditionelles Wissen einer Gemeinschaft ist mit dem Rechtsempfinden und den Rechten vieler indigener Völker nicht nur unvereinbar, sondern es beraubt sie eines Teils ihrer Identität und Unabhängigkeit und bereichert den technologiereichen Norden.

Die Bestrebungen innerhalb der WTO, die Bestimmungen der geistigen Eigentumsrechte (TRIPs) in allen Mitgliedsländern dem Patentrecht anzugleichen, schwächt die Position der Indigenen und der Bauern und Bäuerinnen weltweit.

 

Rechte der indigenen Gemeinschaften und ihre Rolle als Bewahrer der Vielfalt

Die Rolle der Bauern und Indigenen als Bewahrer der Vielfalt wurde gestärkt durch die Bedeutung die der sogenannten in-situ Erhaltung (d.h. der Erhaltung der Vielfalt auf den Äckern oder an dem natürlichen Standort) in der Konvention über biologische Vielfalt und im Globalen Aktionsplan der FAO zur Erhaltung der genetischen Vielfalt für Ernährung und Landwirtschaft eingeräumt wird. Bisher stand die Bedeutung der ex-situ Erhaltung (d.h. in Genbanken, botanischen Gärten, nicht in der natürlichen Umgebung), im Vordergrund. Diese Anerkennung muß nun auch in praktischen Programmen umgesetzt werden.

Die wachsende Zahl von Nichtregierungsorganisationen im Süden, die hier ihre Aufgabe sehen, ist ermutigend und ein Ausdruck von Unzufriedenheit der Bauern und Bäuerinnen mit den Antworten der modernen Agrarforschung und -beratung.

 

Entwicklungsländer und Gentechnologie

Die Bedeutung von genetischen Eigenschaften als wirtschaftlich interessantem Rohmaterial hat ihren Hauptgrund sicher in der erwarteten Bedeutung der Möglichkeiten der Gentechnik. Unserer Ansicht nach wird ihr Einsatz in der Landwirtschaft den Prozeß der Einschränkung der genetischen Basis bei Pflanze und Tier noch beschleunigen und verstärken. Auch dies ist ein Grund, die Gentechnik in der Landwirtschaft abzulehnen. Die Entscheidungsträger in den Entwicklungsländern sind damit konfrontiert zu entscheiden, in welchem Umfang und in welcher Weise sie dem Anbau gentechisch veränderten Organismen in ihren Ländern zustimmen können. Eine kritische Auseinandersetzung findet häufig nur innerhalb der NROs dieser Länder statt.

 

Zusammenfassung

Die Züchtung, Agrarforschung und der Agrarhandel sind weltweit ausgerichtet auf die Bedürfnisse und Interessen der Industrieländer. Der Bereich Saatgut macht dies mit seinen vielschichtigen Verkettungen zu den Bereichen Handel, Recht, Naturschutz, Agrarpolitik und kultureller Identität deutlich.

Wird es gelingen, genetische Ressourcen des Südens als „gleichwertige“ Ressource zum technologischen Innovationspotential des Nordens zu machen, so daß sie ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen und technologischen Macht bilden können?

 

Das Thema genetische Vielfalt in der Landwirtschaft betrifft die Bereiche Nutzpflanzen und Haustierrassen und überschneidet die Diskussionsbereiche nachhaltige Ernährungssicherheit, Bewahrung der Schöpfung, Rechte indigener Völker und Bauernrechte, Patentierung von Leben, Konzentrationsprozesse der Agrarindustrie und die resultierende Abhängigkeit der NahrungsproduzentInnen, Handelsstrukturen und Weltwirtschaft.

 

Die Kontroverse wird auf verschiedenen Ebenen geführt, die sich gegenseitig überschneiden (siehe Diagramm in der Anlage):

 

1. FAO Food and Agriculture Organization

Die FAO hat als Landwirtschaftsorganisation am ehesten mit der Praxis von Schutz und Nutzung der Agrodiversität zu tun. Man kann einen langsamen Paradigmenwechsel zu mehr in-situ Erhaltung (d.h. auf den Feldern der Bauern und nicht nur in ex-situ Genbanken) erkennen. Außerdem konnte nicht zu letzt durch die Lobbyarbeit von NRO der Begriff der Farmers´ Rights gegen die Interessen der Privatwirtschaft (Saatgut und Gentechnik) verteidigt werden. Trotzdem verfolgt die FAO noch immer eher einen technischen Weg zur Ernährungssicherung.

 

2. UNEP United Nations Environmental Programme

UNEP entwickelte die Konvention über biologische Vielfalt (KBV).

Das Abkommen sieht vor, Nutzer (hauptsächlich Industrieländer) und Bereitsteller (hauptsächlich Länder des Südens) genetischer Ressourcen gleichberechtigt am materiellen und anderen Nutzen zu beteiligen. Die Mechanismen, wie dies geschehen soll, müssen noch ausgearbeitet werden. Die KBV hat die Verhandlungsposition des Südens erst einmal gestärkt.

 

3. WTO Welthandelsorganisation

Am stärksten betroffen ist der Schutz und die Nutzung genetischer Ressourcen durch die Trade related intellectual property rights (TRIPs), der handelsrelevanten Rechte an geistigem Eigentum, die in ihren striktestens Form keinen Schutz kollektiver Rechte vorsehen. Die Länder können aber ein eigenes Patentierungsmodell erarbeiten, das solche Möglichkeiten einschließen könnte. Dies geschieht z.Zt. in einigen südamerkanischen Länder, die eine Vorreiterrolle spielen. Die engen Freiräume, die das Abkommen vorsieht müssen maximal ausgenutzt werden.

Die Frage ist, ob die WTO - Regelungen überhaupt auf den Agrarsektor übertragen werden dürfen.

 

 

 

Ursula Gröhn-Wittern

Dipl.-Ing. agr.

 

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